HomeZeitreiseDie prickelnde Seite der Thermen

Die prickelnde Seite der Thermen

Von digitalen Wischgesten zu faszinierenden Wasserwelten

Zwischen Wischgesten und Wasserwelten

In Zeiten von Dating-Apps scheint das Liebesglück oft nur einen Fingerwisch entfernt zu sein. Auch in den heilenden Gewässern der Thermen sprudelt seit jeher die Romantik: Von flüchtigen Bekanntschaften bis hin zur grossen Liebe auf den ersten Blick ist alles möglich. Ein Blick in die Archive der Kurorte aus den 50er-Jahren schenkt überraschende Einblicke.

Kurorte als romantische Hotspots

Thermen faszinierten schon immer – über die Jahrhunderte hinweg aber wohl aus sehr unterschiedlichen Gründen. Sogenannte «Badenfahrten» waren in der Zeit vom Mittelalter bis in die Biedermeier-Epoche eine willkommene Auszeit für alle, die es sich leisten konnten: Eine Badekur war damals die einzige Möglichkeit, Ferien zu nehmen und sich zu erholen. 

Badeausflug junger Leute, Wunderbares Wasser 1980
Badeausflug junger Leute, Wunderbares Wasser 1980
Wunderbares Wasser, Rückseite Cover
Wunderbares Wasser, AT Verlag, Mahlzeit im Bad
Wunderbares Wasser, Ausschnitt aus der Tapisserie «Der Einfluss des Planeten Venus auf die Tätigkeit der Menschen» gerfertigt in Brüssel um 1775, heute im Bayerischen Nationalmuseum, München
Der Einfluss des Planeten Venus auf die Tätigkeit der Menschen, Tapisserie, Wunderbares Wasser, 1980

Im 19. Jahrhundert nahm die Bedeutung der Heilbäder zu. Sie waren nicht mehr nur ein Ort der Erholung – immer mehr blühte dort auch das gesellschaftliche Leben auf. Romantische Begegnungen kamen an die Tagesordnung: die «Kurschatten». Der Begriff beschreibt eine romantische Beziehung, die während eines Kuraufenthalts entsteht.
In einer Zeit ohne Tinder und Online-Dating waren diese Beziehungen Aufregung pur. Sie entwickelten sich oft langsam, völlig unerwartet und meist auf eine charmante, prickelnde Art.

Kurschatten-Geflüster: Die Geschichte von Elisabeth & Jakob

Wir schreiben das Jahr 1950, in einer malerischen Schweizer Landschaft im St. Galler Oberland. Bad Ragaz-Pfäfers gilt als Heil- und Jungbrunnen und besitzt die wasserreichste Akrato-Therme Europas. Berühmtheiten aus aller Welt tummeln sich in den Gästebüchern der Hotels. Der Badekurort weiss seine Gäste zu verwöhnen: Er zählt vier zentrale Thermalbäder, 72 Einzelkabinen, eine prächtige Landschaft und herrliche Spazierwege.

Elisabeth, eine junge, lebensfrohe Frau, reist mit ihrem Partner Thomas und Familie zu einem Kuraufenthalt an. Der Ort summt und brummt, hier scheint das Leben zu pulsieren: Gäste schwimmen im Thermalbad, geniessen Skiausflüge in die umliegenden Berge und lassen sich am Abend von Live-Musik unterhalten.

Struwwlepeter im Heilbad, Seite. 26 / Zeichnung von Hans Kollatz Verlag Ludw. Flöttmann, Gütersloch
Struwwlepeter im Heilbad, Zeichnung von Hans Kollatz

Ein weiterer Gast trifft ein. Jakob, ein eleganter, junger Mann mit charismatischem Lächeln. Von dem Moment an, als er Elisabeth zum ersten Mal sieht, wie sie so sorglos und fidel im Wasser umherplanscht, ist es um ihn geschehen. Ihre zufälligen Begegnungen sind von nun an die Höhepunkte seiner Tage – ein kurzer Blick im Speisesaal, ein Lächeln auf dem Flur … 

Trotz des Flirts aus der Ferne und der heimlichen Blicke wagt Jakob aber nicht, seinen Schwarm anzusprechen, zumal Thomas stets an Elisabeths Seite weilt. Stattdessen hinterlässt Jakob heimlich kleine Botschaften: eine Rose auf ihrem Frühstückstisch oder eine kurze Notiz im Buch, das sie am Beckenrand unbeaufsichtigt zurücklässt.
Als sich Elisabeths Aufenthalt dem Ende neigt, wächst Jakobs Verzweiflung. Am letzten Tag, als ihre Familie gerade das Auto belädt, fasst er sich ein Herz. Mit einem Strauss Blumen in der Hand eilt er zum Hoteleingang – nur um festzustellen, dass Elisabeth bereits abgereist ist.
Enttäuscht lässt er den Kopf hängen. Da steckt ihm die Empfangsdame der Rezeption eine gefaltete Notiz zu. Es ist Elisabeths Handschrift:

„Lieber Unbekannter, danke für die Rosen und deine süssen Blicke. Vielleicht treffen wir uns beim nächsten Mal im Kurort in Schinznach-Bad – nur du und ich. Bis dahin, Elisabeth.“

Jakob strahlt. Dies sollte nicht das Ende, sondern erst der Anfang einer wunderbaren Romanze sein.

Digital Detox und Entschleunigung

Thermen bieten heute vor allem Ruhe und Erholung, fernab von Bildschirmen und Online-Wirbel. Moderne Mineralbäder und Thermalbäder dienen als Oase der Stille, eignen sich für Yoga Retreats oder laden zum Digital Detox ein. Immer mehr setzen die Thermen auf ganzheitliche Angebote zur Selbstoptimierung: Life Hacks, Stressbewältigung, Anti-Aging und Entschleunigung gehen hier Hand in Hand. 

Nachhaltige Ansätze, sanfter Tourismus und umweltfreundliche Anlagen sind die grossen Trends im Wellness- und Gesundheitstourismus. Gäste suchen vermehrt Entschleunigung und die Verbundenheit zur Natur: Panoramasauna, regionale Heilangebote oder Erlebnisse der Achtsamkeit gehören zur Agenda.

Mineralheilbad St. Margrethen
Mineralheilbad St. Margrethen

Sozialer Treffpunkt, der Nähe schafft

Thermen sind in den vergangenen Jahrzehnten zum beliebten Treffpunkt unter Pärchen, Freunden oder in der Familie geworden und aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Warum? Hier ist Raum für tiefe Gespräche und philosophische Gedanken – ohne digitale Ablenkung und Alltagsstress.
Unsere Zeitreise durch die Heilbäder zeigt: Erholungs- und Beziehungsarten haben sich gewandelt, doch das Verlangen nach Entspannung und Nähe bleibt zeitlos. Vom historischen Badehaus bis zum modernen Spa – Wasser symbolisiert stets Erneuerung, Lebensfreude und persönliche Glücksmomente.

Kurschatten Archiv-Galerie

Weitere Artikel

Auf den Spuren der Thermalwasser-Geheimnisse

100 Jahre Bademode – von Tabus zu Modetrends

Verbandsgeschichte – 1924 – 2024